Entscheidung
- Aktenzeichen: XXXXX -
In dem außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren zwischen
XXXXXXXXXXXXXXXXX
- die beschwerdeführende Partei -
und
TikTok
- Online-Plattform –
wegen
der Löschung von Inhalten auf Grundlage von TikToks Richtlinie zu Hassrede oder hasserfülltem Verhalten
hat die zertifizierte außergerichtliche Streitbeilegungsstelle User Rights durch ihre Streitschlichter am 24.04.2025 entschieden:
User Rights kommt zu dem Ergebnis, dass TikToks Entscheidung, den Inhalt von der Plattform zu entfernen, ungerechtfertigt war. Der Inhalt verstößt nicht gegen die Richtlinie zu Hassrede oder hasserfülltem Verhalten und hätte auf dieser Grundlage nicht entfernt werden sollen. TikTok sollte den Inhalt daher wiederherstellen.
I. Zusammenfassung
Die Beschwerde betrifft einen Videobeitrag der beschwerdeführenden Partei auf TikTok, der Ausschnitte von Reden von AfD-Politikern zeigt. Diese Reden enthalten abwertende Aussagen gegenüber geschützten Gruppen. Der Beitrag endet mit einem Aufruf, eine demokratische Partei zu wählen. TikTok entfernte den Inhalt und verwarnte die beschwerdeführende Partei wegen eines angeblichen Verstoßes gegen die Richtlinien zu Hassrede und hasserfülltem Verhalten. Die beschwerdeführende Partei legte bei User Rights Beschwerde ein und argumentierte, dass das Video der Aufklärung diene und durch die Meinungsfreiheit geschützt sei.
User Rights kommt zu dem Ergebnis, dass TikToks Entscheidung, den Inhalt zu entfernen, ungerechtfertigt war. Der Videobeitrag verstößt nicht gegen die Richtlinie zu Hassrede oder hasserfülltem Verhalten, da er zur Aufklärung über die im Videobeitrag gezeigte Hassrede dient. Die Meinungsfreiheit der beschwerdeführenden Partei überwiegt in diesem Fall. TikTok sollte den Inhalt wiederherstellen.
II. Sachverhalt
Gegenstand der Beschwerde ist ein am XX Dezember 2024 durch die beschwerdeführende Partei veröffentlichter Beitrag. In dem streitgegenständlichen Videobeitrag sind drei Ausschnitte von öffentlichen Reden von AfD-Politikern zu sehen. Der erste Ausschnitt zeigt Teile einer Rede des AfD-Politikers André Poggenburg, in der dieser Migranten aus der Türkei als "Kümmelhändler" und "Kameltreiber" beschimpft und sich unter großem Applaus anderer AfD-Anhänger im Publikum für deren Abschiebung ausspricht. Am Ende des Redeausschnitts ertönt im Publikum der laute Sprechchor "Abschieben". Viele der Zuschauer stehen dabei auf. Der zweite Ausschnitt zeigt einen Teil der medial großes Aufsehen erlangten Rede des AfD-Politikers Björn Höcke, in der dieser das Berliner Holocaust-Denkmal als "Denkmal der Schande" betitelte. Im dritten und letzten Videoausschnitt ist der AfD-Politiker Markus Frohnmeier, ehemaliger Vorsitzender der Jungen Alternative, bei einer öffentlichen Rede zu sehen. Er sagt: "Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet, dann wird wieder Politik für das Volk und nur für das Volk gemacht – denn wir sind das Volk, liebe Freunde.“ Diese Aussage richtet sich u.a. gegen Geflüchtete sowie politisch links orientierte Personen. In dem Video ist zu sehen, dass das Rednerpult mit einer Deutschlandfahne bedeckt ist. Außerdem werden im Publikum Deutschlandfahnen geschwungen. Der Beitrag endet mit der Darstellung zweier Diagramme zum Ergebnis einer Wahlumfrage vor der Bundestagswahl am 23. Februar 2025. Darauf ist der Stimmenanteil der AfD von über 20% zu erkennen, was diese laut Wahlumfrage zur zweitstärksten Kraft macht. Über der Darstellung steh dem Sinne nach: Diese Partei erreicht mehr als 20 %? Gebt am 23.02 eure Stimme an eine demokratische Partei! In der Caption zu dem Beitrag heißt es: AfD sei der Niedergang für Deutschland. Er nehme ausdrücklich Abstand vom dargestellten Inhalt und das Video diene nur zur Information, unter Beifügung mehrerer Hashtags.
Am XX Januar 2025 entfernte TikTok den Inhalt von der Plattform. Wegen des angeblichen Richtlinienverstoßes erhielt die beschwerdeführende Partei zudem eine Warnung von TikTok auf ihrem Konto.
Am selben Tag legte die beschwerdeführende Partei die Entscheidung von TikTok bei User Rights zur Überprüfung vor. Diese erklärte, sie habe Einspruch gegen die Sperrung seines Videos eingelegt. Das Ziel des Videos habe darin bestanden, durch die Darstellung problematischer Aussagen von AfD-Politikern auf die Gefährlichkeit dieser Partei hinzuweisen. In der Bildunterschrift habe er ausdrücklich geschrieben, dass er sich klar von den gezeigten Inhalten distanziere. Am Ende des Videos erscheine zudem ein Hinweis, dass man lieber eine demokratische Partei als die gesichert rechtsextreme AfD wählen sollte. Die beschwerdeführende Partei argumentierte weiter, dass gemäß Artikel 11 der EU-Grundrechtecharta (GRC) sein Video unter die geschützte Meinungs- und Informationsfreiheit falle. Es diene der Aufklärung und dem politischen Diskurs. Weiterhin erlaube Artikel 17 der EU-Urheberrechtsrichtlinie, urheberrechtlich geschützte Inhalte für Kritik, Rezensionen oder Meinungsbildung zu nutzen. Sein Video erfülle diese Kriterien durch den klaren kritischen Kontext und die eindeutige Distanzierung. Er fordere daher die Plattform auf, die Entscheidung zur Sperrung seines Videos zu überdenken.
Am 31. Januar 2025 informierte User Rights TikTok über die Beschwerde bei User Rights und gab die Möglichkeit zur Stellungnahme. User Rights forderte TikTok auf, zusätzliche Informationen zur Rechtfertigung der getroffenen Moderationsentscheidung bereitzustellen. Die Plattform erklärte, dass die Inhalte gegen ihre Richtlinien zu Hassrede und hasserfülltem Verhalten verstießen. Diese Richtlinien besagen, dass keine Hassrede, kein hasserfülltes Verhalten und keine Förderung hasserfüllter Ideologien erlaubt sind. Zudem sei die Verwendung einer hasserfüllten Beleidigung, die mit einem geschützten Merkmal verbunden ist, nicht zulässig. Obwohl es Ausnahmen für 'Gegenrede' und 'Bildungs- und Dokumentarinhalte, die auf die Schäden von Hassrede aufmerksam machen' gebe, habe die Überprüfung des betreffenden Inhalts ergeben, dass keine dieser Ausnahmen zutreffe.
Am 13. Februar 2025 bot User Rights der beschwerdeführenden Partei an, mit einer Frist bis zum 20. Februar 2025 auf die Stellungnahme der Plattform zu antworten. Am 15. Februar 2025 antwortete die beschwerdeführende Partei auf die Stellungnahme der Plattform. Die beschwerdeführende Person erklärte, dass ihr Video der kritischen Auseinandersetzung mit problematischen Aussagen von AfD-Politikern diene und daher unter die geschützte Meinungsfreiheit gemäß Artikel 11 GRC falle. Sie habe sich in der Caption klar distanziert und am Ende des Videos betont, dass man eine demokratische Partei statt der gesichert rechtsextremen AfD wählen sollte. Weiterhin führte die beschwerdeführende Person aus, dass gemäß Artikel 17 der EU-Urheberrechtsrichtlinie die Nutzung geschützter Inhalte für Kritik, Analyse und Aufklärung zulässig sei. TikTok selbst nenne „counterspeech“ und „educational content“ als Ausnahmen für die Sperrung von Hassrede, und ihr Video erfülle genau diese Kriterien. Zudem wies die beschwerdeführende Person darauf hin, dass der Digital Services Act (DSA, Artikel 12 und 17) eine kontextbezogene Moderation fordere. Die Entscheidung zur Sperrung ihres Videos ignoriere jedoch den klaren Gegensatz zwischen Dokumentation und Förderung von Hassrede. Abschließend forderte die beschwerdeführende Person eine erneute Überprüfung der Sperrung unter Berücksichtigung des gesamten Kontexts. Sollte TikTok weiterhin bei der Sperrung bleiben, bat sie um eine detaillierte Erklärung, weshalb die „Counterspeech“-Ausnahme hier nicht greife.
III. Zulässigkeit
Die Beschwerde ist zulässig.
User Rights ist zertifiziert, um Streitigkeiten zwischen Anbietern von Online-Plattformen und Nutzern in Bezug auf die Moderation von Inhalten, die auf einer Social-Media-Plattform auf Deutsch oder Englisch veröffentlicht wurden, zu entscheiden. TikTok ist eine Social-Media-Plattform. Der relevante Inhalt ist in Deutsch verfasst, also in einer Sprache, für die User Rights zertifiziert ist. TikTok hat Inhalte entfernt, die die beschwerdeführende Partei auf TikTok geteilt hatte. Die Entfernung von Inhalten stellt eine Maßnahme dar, die gemäß Art. 20 Abs. 1 a) und Art. 21 Abs. 1 DSA bei User Rights angefochten werden kann.
IV. Begründetheit
Die Beschwerde ist begründet.
User Rights kommt zu dem Ergebnis, dass die Entscheidung von TikTok, den Inhalt von der Plattform zu entfernen, ungerechtfertigt ist. Der Inhalt verstößt nicht gegen die Richtlinie zu Hassrede oder hasserfülltem Verhalten und hätte auf dieser Grundlage nicht entfernt werden sollen. TikTok sollte den Inhalt daher wiederherstellen.
1. Prüfungsumfang
In ihrer Stellungnahme gegenüber User Rights erklärte die Online-Plattform, dass die Maßnahme aufgrund ihrer Richtlinie zu Hassrede oder hasserfülltem Verhalten erfolgt sei.
User Rights beschränkt die Prüfung auf die von der Plattform in ihrer Stellungnahme angeführte Regelung. Die Vereinbarkeit mit möglichen anderen Vorschriften wird nicht überprüft. Der Grund dafür ist, dass die Online-Plattform gemäß Art. 17 DSA eine Maßnahme unter Angabe einer spezifischen Regelung in ihren Richtlinien begründen muss (Art. 17 Abs. 3 e) DSA). Der Beschwerdegegenstand bestimmt sich damit maßgeblich danach, auf welche Regelung die Plattform ihre Maßnahme stützt.
Sollte TikTok im Anschluss dieses Verfahrens feststellen, dass eine andere Richtlinie verletzt wurde, muss eine weitere Moderationsentscheidung getroffen und dem Nutzer eine neue Begründung übermittelt werden, die einen Hinweis auf diese Richtlinie enthält. Der Nutzer hat dann das Recht, diese Entscheidung gemäß Art. 20 oder Art. 21 DSA anzufechten.
2. Inhaltliche Prüfung
User Rights stützt seine Entscheidung auf die aktuelle Fassung der Richtlinien der Online-Plattform.
Die von der beschwerdeführenden Person geteilten Inhalte verstoßen nicht gegen die Richtlinie zu Hassrede und hasserfülltem Verhalten. Der Videobeitrag dient der Aufklärung und kritisiert die gezeigten Reden der AfD-Politiker.
Die Richtlinie definiert als Hassrede explizite und implizite Inhalte, die ein geschützte Gruppe angreifen. Unter geschützten Gruppen sind laut Richtlinie wiederum Personengemeinschaften mit geschützten Eigenschaften, also angeborenen unveränderlichen persönlichen Merkmalen, zu verstehen. Als Beispiele dafür werden ethnische Zugehörigkeit, nationale Herkunft, Einwanderungsstatus, Religion, Geschlecht, Geschlechtsidentität, sexuelle Orientierung und Behinderung genannt.
Als Ausnahme erlaubt die Richtlinie die Darstellung von Hassrede als bildende und dokumentarische Inhalte, die auf die Schäden von Hassrede aufmerksam machen, sowie Gegenrede, Verurteilung oder Satire über hasserfüllte Ideologien.
Der Videobeitrag der beschwerdeführenden Partei zeigt Reden von AfD-Politikern, die zwar abwertende und diskriminierende Aussagen gegenüber geschützten Gruppen, wie z.B. Migranten, enthalten. Jedoch wird der Beitrag von der beschwerdeführenden Person dazu genutzt, um diese Inhalte zu kritisieren und über Gefahren durch die AfD aufzuklären. Die Caption des Videos distanziert sich ausdrücklich von den gezeigten Inhalten und betont, dass das Video der Aufklärung dient. Der Aufruf, eine demokratische Partei zu wählen, kann zudem als Gegenrede gegen die gezeigte Hassrede gewertet werden. Daher verstößt der Beitrag nicht gegen die Richtlinie, da er im Kontext der Aufklärung und Kritik von Hassrede und hasserfüllten Ideologien steht. Die Meinungsfreiheit der beschwerdeführenden Partei nach Art. 11 GRC überwiegt hier klar gegenüber der unternehmerischen Freiheit von TikTok gemäß Art. 16 GRC im Hinblick auf seine Moderationsentscheidungen, da die beschwerdeführende Partei sich die dargestellte Hassrede der AfD-Politiker nicht zu eigen macht, sondern kritisch über diese aufklären möchte.
Die Entscheidung der Plattform, den Videobeitrag zu entfernen, war somit nicht gerechtfertigt. Ebenso fehlt es damit an einer Grundlage für die durch TikTok verhängte Kontowarnung.
V. Ergebnis
User Rights kommt zu dem Ergebnis, dass TikToks Entscheidung, den Inhalt von der Plattform zu entfernen, ungerechtfertigt war. Der Inhalt verstößt nicht gegen die Richtlinie zu Hassrede oder hasserfülltem Verhalten und hätte auf dieser Grundlage nicht entfernt werden sollen. TikTok sollte den Inhalt daher wiederherstellen.
Hinweis: Die Entscheidungen von außergerichtlichen Streitbeilegungsstellen sind gemäß Artikel 21 Abs. 2 Satz 3 DSA für Plattformen nicht bindend. Im Rahmen ihrer Pflicht zur Zusammenarbeit nach Treu und Glauben gemäß Artikel 21 Abs. 2 Satz 1 des DSA müssen Plattformen jedoch prüfen, ob Gründe gegen die Umsetzung der Entscheidung sprechen und die Streitbeilegungsstellen über die Umsetzung der Entscheidung informieren.