Antifa SA

ENTSCHEIDUNG: UR_2025_13
ABLEHNUNG
PLATTFORM
TikTok
NORM
§ 185 StGB
Hassrede und hasserfülltes Verhalten
§ 130 StGB
SPRACHE
Deutsch
DATUM
2025-08-05
MAßNAHME
Weigerung Inhalte zu entfernen

Entscheidung

- Aktenzeichen: ​XXXXX-


 

In dem außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren zwischen

 


 

XXXXXXXXXXXXXXX​

- die beschwerdeführende Person -

und


 

​TikTok

- Online-Plattform –

wegen 


 

​TikTok​s Entscheidung gemeldete Inhalte nicht zu löschen 

 

hat die zertifizierte außergerichtliche Streitbeilegungsstelle User Rights durch ihre Streitschlichter am ​07.03.2025​ entschieden:

 

User Rights stellt fest, dass TikTok den gemeldeten Inhalt nicht von seiner Plattform entfernen muss. User Rights hat geprüft, ob der Inhalt gegen eine der rechtlichen Bestimmungen in seinem Zuständigkeitsbereich oder gegen die Richtlinien der Plattform verstößt. User Rights ist zu dem Ergebnis gekommen, dass dies nicht der Fall ist.

 

I. Zusammenfassung

Die Beschwerde betrifft einen Kommentar, der während eines LIVE-Videos auf TikTok gepostet wurde. Der Nutzer XXXXXXXXX kommentierte die Antifa sei die heutige SA was die beschwerdeführende Person als Volksverhetzung ansah und bei TikTok meldete. TikTok entschied jedoch, dass der Kommentar nicht gegen die Community-Richtlinien verstoße, und ließ ihn auf der Plattform.

User Rights überprüfte die Entscheidung von TikTok und stellte fest, dass der Kommentar weder gegen das Strafgesetzbuch noch gegen die Richtlinien von TikTok verstößt. Der Kommentar stellt keine Volksverhetzung, Beleidigung, üble Nachrede oder Verleumdung dar. Zudem greift der Kommentar keine geschützte Gruppe im Sinne der Richtlinie zu Hassrede oder hasserfülltem Verhalten an. Daher hält User Rights die Entscheidung von TikTok, den Kommentar nicht zu entfernen, für gerechtfertigt.

II. Sachverhalt

Die Beschwerde betrifft Inhalte, die von der beschwerdeführenden Person im Februar 2025​ gemeldet wurden. 

Am besagten Datum veröffentlichte die beschwerdeführende Person, die auf TikTok mit dem Nutzernamen XXXXXXXXXX auftritt, ein LIVE-Video. In dem LIVE-Video wurden - auch im dazu gehörigen Chat - politische Diskussionen geführt. In dem Chat veröffentlichte der Nutzer XXXXXXXXX während des LIVE-Videos den Kommentar, die Antifa sei die heutige SA. 

Daraufhin meldete die beschwerdeführende Person noch am selben Tag den Kommentar bei TikTok aufgrund eines Verstoßes gegen die Community-Richtlinien. TikTok prüfte die Meldung umgehend und teilte ebenfalls am XXXXXXXXXXXXX mit, dass man keinen Verstoß gegen die Community-Richtlinien feststellen könne und daher den Kommentar auf der Plattform belasse. 

Am folgenden Tag wandte sich die beschwerdeführende Person wegen der Erhaltung des Kommentars auf TikTok an User Rights. Sie erklärte, dass sie in ihrem Livestream eine Volksverhetzung gemeldet habe, die von TikTok nicht geahndet worden sei. 

Ebenso am selben Tag informierte User Rights TikTok über die Beschwerde bei User Rights und gab die Möglichkeit zur Stellungnahme. TikTok beharrte dabei auf seinem Standpunkt, dass keine Verletzung der Community-Richtlinien festzustellen sei und der Kommentar weiterhin auf der Plattform belassen werde. 

III. Zulässigkeit

Die Beschwerde ist zulässig. 

User Rights ist zertifiziert, um Streitigkeiten zwischen Anbietern von Online-Plattformen und Nutzern in Bezug auf die Moderation von Inhalten, die auf einer Social-Media-Plattform auf Deutsch oder Englisch veröffentlicht wurden, zu entscheiden. TikTok ist eine Social-Media-Plattform. Der relevante Inhalt ist in Deutsch verfasst, also in einer Sprache, für die User Rights zertifiziert ist. Die beschwerdeführende Person informierte ​TikTok​ über Inhalte, die sie für rechtswidrig hielt. ​TikTok​ informierte die beschwerdeführende Person, dass der Inhalt auf der Plattform bleiben würde. Gemäß Art. 20 Abs. 1 a) und Art. 21 Abs. 1 DSA kann die Entscheidung, Inhalte auf der Plattform zu belassen, bei der außergerichtlichen Streitbeilegungsstelle User Rights überprüft werden. 

IV. Begründetheit

Die Beschwerde ist unbegründet.

User Rights hält die Entscheidung von ​TikTok​ aufrecht, den Inhalt auf der Plattform zu belassen. User Rights stellt fest, dass der Inhalt weder gegen das Gesetz noch gegen die Richtlinien der Plattform verstößt und daher nicht entfernt werden muss. Diese Bewertung beschränkt sich auf die rechtlichen Bestimmungen und Richtlinien, die in den Zuständigkeitsbereich von User Rights fallen.

1. Prüfungsumfang

Wenn Anbieter von Online-Plattformen entscheiden, Inhalte nach einem Hinweis auf deren potenzielle Rechtswidrigkeit auf der Plattform zu belassen, prüft User Rights umfassend im Rahmen seiner Befugnisse, ob die Inhalte gegen Rechtsvorschriften verstoßen. Wenn dies nicht der Fall ist, prüft User Rights, ob die Inhalte gegen die Richtlinien der Online-Plattform verstoßen.

2. Inhaltliche Prüfung

a. Der Nutzer XXXXXXXXX hat mit seinem Kommentar keine von User Rights zu prüfenden Tatbestände aus dem StGB verwirklicht. Der Kommentar stellt keinen rechtswidrigen Inhalt im Sinne des Art. 16 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 DSA dar. 

Der Kommentar ist entgegen der Behauptung der beschwerdeführenden Person keine Volksverhetzung nach § 130 StGB. Mit seiner Bezugnahme auf Anhänger der antifaschistischen Bewegung (Antifa) richtet sich der Kommentar nicht gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe gemäß Abs. 1 Nr. 1 Var. 1. Verbindendes Merkmal ist eine dem Faschismus entgegentretende politische Haltung.  Bei der von ihm angesprochenen Antifa handelt es sich aber auch nicht um aufgrund bestimmter Merkmale unterscheidbare Teile der inländischen Bevölkerung iSv Abs. 1 Nr. 1 Var. 2. Dieses Tatbestandsmerkmal setzt eine gemeinsame weltanschauliche, politisch-ideologische Grundüberzeugung voraus. In der „Antifa“-Bewegung sind jedoch weltanschaulich unterschiedlich geprägte Gruppierungen lediglich durch ein gemeinsames Ziel, dem Kampf gegen den Faschismus, vereint (BGH, Urteil vom 03.04.2008 - 3 StR 394/07). Der Kommentar erreicht ebenso nicht das Ausmaß eines Angriffs auf die Menschenwürde anderer (Abs. 1 Nr. 2). 

Außerdem erscheint der Kommentar nicht dazu geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören. Dieses Tatbestandsmerkmal setzt voraus, dass durch den Kommentar das Vertrauen Angehöriger der Antifa-Bewegung in ihre Rechtssicherheit erschüttert wird (Rackow, in BeckOK StGB, 64. Edition, Stand: 01.08.2024, § 130 Rn 23). Der Kommentar spielt durch den Vergleich mit der Sturmabteilung (SA), der paramilitärischen Kampforganisation der NSDAP, in provokativer Weise auf die gewaltbereiten und extremistischen Strömungen in der Antifa-Bewegung an. Die Antifa wird damit in erster Linie als Aggressor kritisiert und nicht als Gruppe dargestellt, die innerhalb der Gesellschaft Angriffe und Hetze zu befürchten hat. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Äußerung als Frage formuliert wurde. Der Kommentar lässt damit insgesamt nicht befürchten, dass die Antifa-Bewegung nicht mehr auf rechtsstaatlichen Schutz vertrauen kann. 

Eine Verwirklichung des Straftatbestands der Beleidigung nach § 185 StGB scheidet aus, da es sich bei den angesprochenen Angehörigen der Antifa-Bewegung nicht um eine identifizierbare Personengruppe handelt. Wenn kollektiv ein bestimmter Typus von Personen - wie hier Anhänger der antifaschistischen Szene - angesprochen werden, muss sich für eine Strafbarkeit nach § 185 StGB die Äußerung auf eine eindeutig unterscheidbare und begrenzte Personengruppe beziehen, die sich von der Allgemeinheit abhebt, klar definierbar ist und deren Mitglieder zweifelsfrei identifiziert werden können (Valerius, in BeckOK-StGB, 64. Edition, Stand: 01.02.2025, § 185 StGB, Rn. 9). Diese Eingrenzung des Personenkreises war vorliegend nicht möglich. Das LIVE-Video hatte die beschwerdeführende Person öffentlich auf TikTok gestartet. Wie der Kommentar belegt, wurden nicht nur Nutzerinnen und Nutzer mit linksgerichteter politischer Einstellung als Zuschauer zugelassen, weshalb sich der Kommentar nicht an eine eindeutig unterscheidbare und begrenzte Personengruppe, die sich von der Allgemeinheit abhebt und klar definierbar ist, richtete. Die am LIVE-Video und Chat teilnehmenden Nutzerinnen und Nutzer konnten auch nicht zweifelsfrei identifiziert werden. 

Eine Strafbarkeit wegen übler Nachrede nach § 186 StGB bzw. Verleumdung nach § 187 StGB scheitert daran, dass der Kommentar ein Werturteil und keine Tatsachenbehauptung ist. Darauf deutet schon hin, dass dieser als Frage formuliert wurde. Zudem kann es sich gar nicht um eine Tatsachenbehauptung handeln, da ein Vergleich mit der SA, einer Gruppierung aus der Vergangenheit, nur rein hypothetisch erfolgen kann. Der Nutzer XXXXXXXXX drückt damit im Sinne eines Werturteils sein Dafürhalten bzw. seinen Standpunkt gegenüber der Antifa-Bewegung aus. 

b. Der Inhalt verstößt auch nicht gegen die Richtlinien der Online-Plattform. 

User Rights stellt fest, dass die für die Bewertung des Inhalts in diesem Fall heranzuziehende Richtlinie die Richtlinie zu Hassrede oder hasserfülltem Verhalten ist. Der Kommentar verstößt nicht gegen diese Richtlinie. 

Die Richtlinie von TikTok zielt darauf ab, Hassrede und hasserfülltes Verhalten zu verhindern, indem sie Inhalte verbietet, die geschützte Gruppen angreifen oder herabwürdigen. Geschützte Gruppen sind solche, die gemeinsame geschützte Eigenschaften aufweisen, wie Ethnizität, Religion oder Geschlechtsidentität. Die Richtlinie erlaubt jedoch Diskussionen über gesellschaftliche Probleme, solange dabei keine Angriffe auf Menschen aufgrund ihrer geschützten Eigenschaften erfolgen.

Der relevante Teil der Richtlinie besagt, dass Inhalte nicht erlaubt sind, wenn sie Gewalt, Segregation oder Diskriminierung auf Grundlage einer geschützten Eigenschaft fördern. Der Kommentar bezieht sich auf eine politische Gruppierung und zieht einen Vergleich zwischen der Antifa und der historischen SA (Sturmabteilung). Dieser Vergleich greift keine geschützte Gruppe an und fördert keine hasserfüllte Ideologie im Sinne der Richtlinie. Es handelt sich um eine politische Meinungsäußerung, die im Rahmen einer politischen Debatte gemacht wurde.

Der Kommentar könnte als provokant oder kontrovers angesehen werden, fällt jedoch unter den Schutz politischer Diskussionen, die in der Richtlinie ausdrücklich erlaubt sind. Solange keine geschützte Gruppe direkt angegriffen wird, bleibt der Kommentar im Rahmen dessen, was TikTok als zulässige Diskussion über gesellschaftliche Themen betrachtet. Daher hat die Plattform korrekt entschieden, den Inhalt nicht zu entfernen.​

V. Ergebnis

User Rights stellt fest, dass TikTok den gemeldeten Inhalt nicht von seiner Plattform entfernen muss. User Rights hat geprüft, ob der Inhalt gegen eine der rechtlichen Bestimmungen in seinem Zuständigkeitsbereich oder gegen die Richtlinien der Plattform verstößt. User Rights ist zu dem Ergebnis gekommen, dass dies nicht der Fall ist.


Hinweis: Die Entscheidungen von außergerichtlichen Streitbeilegungsstellen sind gemäß Artikel 21 Abs. 2 Satz 3 DSA für Plattformen nicht bindend. Im Rahmen ihrer Pflicht zur Zusammenarbeit nach Treu und Glauben gemäß Artikel 21 Abs. 2 Satz 1 des DSA müssen Plattformen jedoch prüfen, ob Gründe gegen die Umsetzung der Entscheidung sprechen und die Streitbeilegungsstellen über die Umsetzung der Entscheidung informieren.

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