Entscheidung
- Aktenzeichen: XXXXX -
In dem außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren zwischen
XXXXXXXXXXXX
- die beschwerdeführende Person -
und
TikTok
- Online-Plattform –
wegen
der Löschung von Inhalten auf Grundlage von TikToks Richtlinie zu Fehlinformationen
hat die zertifizierte außergerichtliche Streitbeilegungsstelle User Rights durch ihre Streitschlichter am 04.03.2025 entschieden:
User Rights kommt zu dem Ergebnis, dass TikToks Entscheidung, den Inhalt von der Plattform zu entfernen, gerechtfertigt war. Der Inhalt verstößt gegen die Richtlinie zu Fehlinformationen. Die Entscheidung wird daher aufrechterhalten.
I. Zusammenfassung
Die Beschwerde betrifft ein Video, das die beschwerdeführende Person auf TikTok veröffentlichte. Es zeigt ein Interview mit der AfD-Politikerin Alice Weidel und einen Monolog von Dr. Michael Nehls, die sich beide zu den mRNA-Impfstoffen gegen das Coronavirus und deren angebliche gesundheitsschädliche Auswirkungen äußern. TikTok entfernte den Inhalt aufgrund eines Verstoßes gegen die Richtlinie zu Fehlinformationen, da solche Inhalte erheblichen Schaden für Einzelpersonen oder die Gesellschaft verursachen könnten.
User Rights hält die Entscheidung von TikTok aufrecht. Das Video enthält gesundheitsbezogene Fehlinformationen, die Menschen davon abhalten könnten, angemessene medizinische Versorgung zu erhalten. Die Moderationsmaßnahme ist nicht willkürlich und verhältnismäßig, da sie dem Schutz der öffentlichen Gesundheit dient und die unternehmerische Freiheit der Plattform sowie der Gesundheitsschutz zahlreicher Dritter überwiegen.
II. Sachverhalt
Die Beschwerde betrifft Inhalte, die die beschwerdeführende Person am XX Dezember 2024 veröffentlichte.
Der streitgegenständliche Beitrag enthält ein Video von einem Interview mit der AfD-Politikerin Alice Weidel. Darin äußert sie sich zu Gefahren beim Einsatz des mRNA-Impfstoffes gegen das Corona-Virus. Alice Weidel spricht in dem Video unter anderem von einem hoch-experimentellen, nicht ausreichend getesteten Impfstoff, der Menschen krank gemacht habe, weshalb auch Menschen gestorben seien. Zum Teil seien die Tranchen nicht rein bzw. verdreckt gewesen. Menschen seien reihenweise an Thrombosen verstorben. Die infolge der Impfung produzierten Spike-Proteine hätten bei Geimpften zu einem überschießenden Immunsystem geführt und das Mastzellenaktivierungssyndrom befördert. Dieses führe zu Gürtelrosen oder auch Diabetes. In diesem Zusammenhang empfiehlt die Politikerin, sich mit dem Werk von Dr. Michael Nehls zu beschäftigen.
Entsprechend folgt als nächstes die Videoaufzeichnung eines Monologs von Herrn Dr. Michael Nehls. Dieser erklärt darin, dass nach eindeutiger Studienlage das Spike-Protein die Bildung neuer Gehirnzellen in der autobiographischen Gedächtniszentrale blockiere. Dies führe dazu, dass das mentale Immunsystem der Menschen zerstört werde. Einerseits würden die Lebensumstände so verändert, dass die Produktionsrate sinke. Andererseits würde die Produktion neuer Gehirnzellen blockiert. Dieser duale Angriff und die Propaganda sorgten für ein Überschreiben der menschlichen Gedächtniszentrale. Die Individualität reduziere sich. Zurück blieben Menschen, die nur noch aus Angst bestünden, konkret Angst vor den globalen Herausforderungen hätten. Bei diesen Menschen würde man nichts anderes erwarten können als den Wunsch nach einer neuen Führung, die das Problem löse. Darauf laufe alles hinaus. Dies sei der Great Reset, das Implantieren eines neuen Betriebssystems im Gehirn, was voraussetze, dass alle kontroversen Gedanken vorher gelöscht werden müssten. Auf dem Video beschreibt der Text, dass Dr. Michael Nils aufdecke wie das Gehirn zerstört und manipuliert werden würde.
Am Ende des Videos erfolgt eine Stellungnahme der beschwerdeführenden Person selbst. Diese filmt sich bei einem Monolog, in dem sie die gesundheitsschädlichen Folgen des mRNA-Impfstoffs bei sich sowie bei Freunden und Bekannten beschreibt.
Zu dem Video hat die beschwerdeführende Person den Kommentar veröffentlicht, dass das Spike-Protein für schwerste Schäden sorgt und diesen mit mehreren Hashtags zur Thematik sowie Tags anderer TikTok-Profile versehen.
Am XX. Dezember 2024 entfernte TikTok den Inhalt von der Plattform. Am selben Tag legte die beschwerdeführende Person die Entscheidung von TikTok bei User Rights zur Überprüfung vor. Die beschwerdeführende Person erklärt, dass sie den Vorwurf des Verstoßes gegen die Plattformrichtlinien und die dazugehörige Begründung nicht akzeptiere.
Anschließend informierte User Rights TikTok über die Beschwerde bei User Rights und gab die Möglichkeit zur Stellungnahme. User Rights forderte TikTok auf, zusätzliche Informationen zur Rechtfertigung der getroffenen Moderationsentscheidung bereitzustellen. Die Plattform erklärt, dass die Inhalte gegen ihre Richtlinien zu Fehlinformationen verstoßen. Diese besagen, dass keine Fehlinformationen erlaubt sind, die erheblichen Schaden für Einzelpersonen oder die Gesellschaft verursachen könnten, unabhängig von der Absicht. Zudem seien Fehlinformationen im Gesundheitsbereich nicht gestattet, wie irreführende Aussagen über Impfstoffe, ungenaue medizinische Ratschläge, die Menschen davon abhalten, angemessene medizinische Versorgung bei lebensbedrohlichen Krankheiten zu erhalten, oder andere Fehlinformationen, die negative gesundheitliche Auswirkungen auf das Leben einer Person haben könnten.
III. Zulässigkeit
Die Beschwerde ist zulässig.
User Rights ist zertifiziert, um Streitigkeiten zwischen Anbietern von Online-Plattformen und Nutzern in Bezug auf die Moderation von Inhalten, die auf einer Social-Media-Plattform auf Deutsch oder Englisch veröffentlicht wurden, zu entscheiden. TikTok ist eine Social-Media-Plattform. Der relevante Inhalt ist in Deutsch verfasst, also in einer Sprache, für die User Rights zertifiziert ist. TikTok hat Inhalte entfernt, die die beschwerdeführende Person auf TikTok geteilt hatte. Die Entfernung von Inhalten stellt eine Maßnahme dar, die gemäß Art. 20 Abs. 1 a) und Art. 21 Abs. 1 DSA bei User Rights angefochten werden kann.
IV. Begründetheit
Die Beschwerde ist nicht begründet.
User Rights kommt zu dem Ergebnis, dass TikToks Entscheidung, den Inhalt von der Plattform zu entfernen, gerechtfertigt war. Der Inhalt verstößt gegen die Richtlinie zu Fehlinformationen. Die Entscheidung wird daher aufrechterhalten.
1. Prüfungsumfang
In ihrer Stellungnahme gegenüber User Rights erklärte die Online-Plattform, dass die Maßnahme aufgrund ihrer Richtlinie zu Fehlinformationen erfolgt sei.
User Rights beschränkt die Prüfung auf die von der Plattform in ihrer Stellungnahme angeführte Regelung. Die Vereinbarkeit mit möglichen anderen Vorschriften wird nicht überprüft. Der Grund dafür ist, dass die Online-Plattform gemäß Art. 17 DSA eine Maßnahme unter Angabe einer spezifischen Regelung in ihren Richtlinien begründen muss (Art. 17 Abs. 3 e) DSA). Der Beschwerdegegenstand bestimmt sich damit maßgeblich danach, auf welche Regelung die Plattform ihre Maßnahme stützt.
Sollte TikTok im Anschluss dieses Verfahrens feststellen, dass eine andere Richtlinie verletzt wurde, muss eine weitere Moderationsentscheidung getroffen und dem Nutzer eine neue Begründung übermittelt werden, die einen Hinweis auf diese Richtlinie enthält. Der Nutzer hat dann das Recht, diese Entscheidung gemäß Art. 20 oder Art. 21 DSA anzufechten.
2. Inhaltliche Prüfung
User Rights stützt seine Entscheidung auf die aktuelle Fassung der Richtlinien der Online-Plattform.
Die von der beschwerdeführenden Person geteilten Inhalte verstoßen gegen die Richtlinie zu Fehlinformationen. Das Video enthält Aussagen, die irreführende Informationen über mRNA-Impfstoffe verbreiten, einschließlich Behauptungen über deren angebliche Gefährlichkeit und gesundheitsschädliche Auswirkungen. Diese Art von Inhalten fällt unter die Kategorie der gesundheitsbezogenen Fehlinformationen, die laut den TikTok-Richtlinien nicht gestattet sind.
Die Richtlinie zu Fehlinformationen zielt darauf ab, die Verbreitung von falschen oder irreführenden Inhalten zu verhindern, die erheblichen Schaden für Einzelpersonen oder die Gesellschaft verursachen könnten. Insbesondere werden gesundheitsbezogene Fehlinformationen, die Menschen davon abhalten könnten, angemessene medizinische Versorgung zu erhalten oder die negative gesundheitliche Auswirkungen haben könnten, nicht toleriert.
Die Richtlinie verbietet konkret gesundheitsbezogene Fehlinformationen, wie irreführende Aussagen über Impfstoffe und falsche medizinische Ratschläge, die Menschen davon abhalten könnten, eine angemessene medizinische Versorgung für lebensbedrohliche Krankheiten zu erhalten.
Das Video enthält mehrere Aussagen, die als irreführend und potenziell schädlich eingestuft werden können.
So ist insbesondere die Aussage von Frau Weidel, dass die Corona-Impfung bei Geimpften zu einem überschießenden Immunsystem und dessen gesundheitsschädigenden Folgen geführt habe, als irreführend einzuordnen. Das Ergebnis eines Faktenchecks der Agence France-Presse (AFP) ergab unter anderem, dass die Corona-Impfung laut anerkannter Forscherinnen und Forscher grundsätzlich keine Gefahr für das Immunsystem darstelle. Nur in sehr seltenen Fällen könne sie das Immunsystem überstimulieren. Impfstoffe, die das menschliche Immunsystem gefährden, würden wohl keinen spezifischen Covid-19-Schutz erzeugen, was ja für die Zulassung nachgewiesen werden müsse, gibt der Faktencheck eine Stellungnahme des Paul Ehrlich Instituts wieder. Generell würden Impfstoffe nur zugelassen, wenn die zugehörigen Daten "eindeutig zeigen, dass der Nutzen gegenüber den Risiken überwiegt" (Lehn, Johanna, in AFP Faktencheck, Spike-Proteine der Corona-Impfung schädigen weder Lunge noch weiße Blutkörperchen; veröffentlicht am 10. Oktober 2023, zuletzt aktualisiert am 17. Januar 2025, abgerufen am 4. März 2025 https://faktencheck.afp.com/doc.afp.com.33WQ6NL). Die AFP ist einer der Faktencheck-Partner von TikTok und IFCN-zertifiziert. Stellt man die Aussagen von Frau Weidel dem Faktencheck gegenüber, suggerieren sie, dass mRNA-Impfstoffe reihenweise bei Geimpften zu einem überschießenden Immunsystem und damit z.B. zu Diabetes und Gürtelrosen führten. Dies erzeugt den irrtümlichen pauschalen Standpunkt, dass die Impfung mit den mRNA-Impfstoffen gesundheitsgefährdend sei. Damit werden Menschen davon abgehalten, sich um eine adäquate medizinische Versorgung gegen das Coronavirus zu bemühen, eine gerade für Risikopatienten lebensbedrohliche Krankheit, die während der Pandemie zu zahlreichen Todesfällen geführt hat. Auch die Aussage von Frau Weidel, dass der Impfstoff bzw. einige Tranchen verdreckt gewesen seien, ist als irreführend einzuordnen. Insoweit dieser eine Meinung ausdrückt, beruht diese auf Fehlinformationen bzw. irreführenden Inhalten, was die Richtlinie ebenfalls verbietet. So heißt es in einem Faktencheck des Recherchenetzwerks CORRECTIV, ebenfalls IFCN-zertifiziert, dass bestimmte Belege zu DNA-Verunreinigungen in mRNA-Impfstoffen wissenschaftlich nicht haltbar seien (Nicolaus, Kimberley, in CORRECTIV-Faktencheck, Angebliche Belege zu “DNA-Verunreinigungen” in mRNA-Impfstoffen gegen Covid-19 wissenschaftlich nicht haltbar; veröffentlicht am 29. Februar 2024, abgerufen am 4. März 2025 unter https://correctiv.org/faktencheck/2024/02/29/angebliche-belege-zu-dna-verunreinigungen-in-mrna-impfstoffen-gegen-covid-19-wissenschaftlich-nicht-haltbar/). Frau Weidel konkretisiert ihre Aussage zu den angeblich “verdreckten” Tranchen nicht einmal und spricht nicht von möglichen “DNA-Verunreinigungen”. Dadurch kann der irrtümliche Standpunkt bei Zuschauern befördert werden, dass der Impfstoff aufgrund seiner Verunreinigung eine allgemeine Gefahr darstelle.
Aus den im AFP-Faktencheck genannten Gründen ist unter anderem auch die Aussage von Herrn Dr. Nehls, wonach der Corona-Impfstoff das mentale Immunsystem zerstöre, als Fehlinformation einzuordnen. Fehlinformationen im Sinne von TikToks Richtlinie dazu sind falsche oder irreführende Inhalte. Die Aussage, der Impfstoff zerstöre das Immunsystem und zerstöre und manipuliere das Gehirn ist als falsch bzw. irreführend zu qualifizieren. Mit seiner Anspielung auf die Theorie vom “Great Reset” und dem “Implantieren eines neuen Betriebssystems im Gehirn” werden durch den Videoausschnitt von Herrn Dr. Nehls außerdem Verschwörungstheorien verbreitet, was ebenfalls laut der Richtlinie unzulässig ist und z.B. zu einer Entfernung aus dem Für-Dich-Feed führen kann.
Der Erfahrungsbericht der beschwerdeführenden Person zu ihren gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die sie auf die Corona-Impfung zurückführt, ist isoliert betrachtet gemäß der Richtlinie zu Fehlinformationen zwar zulässig.
Im Allgemeinen sind die Inhalte in dem Video jedoch dazu geeignet, dass Menschen verunsichert werden und möglicherweise auf notwendige Impfungen gegen das Coronavirus verzichten, was erhebliche gesundheitliche Risiken birgt.
Grundsätzlich kann aufgrund der erwähnten Verstöße eine Löschung des Videos als mit den TikTok-Richtlinien vereinbar betrachtet werden.
Eine endgültige Bewertung, ob die Maßnahme der Plattform gerechtfertigt war und alle Anforderungen der DSA erfüllt, hängt jedoch davon ab, ob die Entscheidung den Grundrechten der beschwerdeführenden Person angemessen Rechnung trug (Art. 14 Abs. 4).
3. Vereinbarkeit der Moderationsentscheidung mit den Grundrechten
Die Entscheidung, das Video zu löschen, ist als Moderationsentscheidung grundrechtskonform.
a. Anwendung von Grundrechten unter dem DSA
Artikel 14 Abs. 4) DSA stellt fest, dass Anbieter von Online-Plattformen bei der Anwendung und Durchsetzung von Beschränkungen sorgfältig, objektiv und verhältnismäßig vorgehen und dabei die Rechte und berechtigten Interessen aller Beteiligten sowie die Grundrechte der Nutzer berücksichtigen müssen, die in der Charta verankert sind, etwa das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Freiheit und den Pluralismus der Medien und andere Grundrechte und -freiheiten.
Die Verpflichtung folgt nicht aus dem DSA, sondern aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh). Die in der Charta festgelegten Grundrechte gelten nicht nur in Streitigkeiten zwischen Bürgern und dem Staat. Die Grundrechte der Charta sind auch auf rein private Streitigkeiten anwendbar, die keine staatlichen Stellen betreffen. Art. 14 Abs. 4) des DSA konkretisiert dies lediglich in Bezug auf Streitigkeiten zwischen Nutzern und Anbietern von Online-Plattformen.
Vor diesem Hintergrund wird User Rights die entgegengesetzten Grundrechtspositionen der beschwerdeführenden Person und TikTok abwägen, um festzustellen, ob die Entscheidung von TikTok mit Art. 14 Abs. 4) DSA im Einklang steht.
b. Grundrechte der Parteien
Die beschwerdeführende Person kann sich auf das Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 11 GRCh) berufen. Die Veröffentlichung des Inhalts durch die beschwerdeführende Person ist durch Art. 11 GRCh geschützt.
Zur Bestimmung des Schutzbereichs von Art. 11 GRCh kann gem. Art. 52 Abs. 3 GRCh die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 10 EMRK als Erkenntnishilfe herangezogen werden.
Erforderlich ist zunächst, dass der Inhalt eine Meinung zum Gegenstand hat. Hierunter fällt potenziell jegliche Form der Kommunikation, unabhängig davon, ob es sich um Werturteile oder Tatsachen handelt (EGMR 1985, 2885). Bei der Bestimmung des Schutzbereichs der Meinungsfreiheit findet keine inhaltliche Bewertung der Äußerung statt. Allerdings hat der EGMR der Leugnung des Holocausts jeglichen Schutz nach Art. 10 EMRK abgesprochen, da entsprechende Äußerungen gegen das Missbrauchsverbot nach Art. 17 EMRK verstoßen (EGMR, Urt. v. 23.9.1998 – 24662/94 Rn. 47).
Art. 11 GRCh schützt jegliche Form und Darstellung der Meinungsäußerung. Auch die Verbreitung von Inhalten über Online-Plattformen ist von Art. 11 Abs. 1 GRCh geschützt.
Nach diesen Maßstäben fällt die Veröffentlichung des Inhalts auf der Online-Plattform in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit gem. Art. 11 GRCh.
Der Anbieter von TikTok kann sich seinerseits auf sein Grundrecht auf unternehmerische Freiheit (Art. 16 GRCh)
Das Grundrecht auf unternehmerische Freiheit nach Art. 16 GRCh umfasst das Recht, eine wirtschaftliche oder kommerzielle Tätigkeit frei auszuüben (EuGH, Urteil vom 14. Mai 1974, Nold, C-4/73, ECLI:EU:C:1974:51, Rn. 12-14). Dies schließt das Recht ein, eine kommerzielle Online-Plattform zu betreiben, deren Richtlinien festzulegen und eine Moderation der Inhalte zur Durchsetzung dieser Standards gegenüber den Nutzern durchzuführen.
c. Grundrechtliche Anforderungen an Moderationsentscheidungen von Online-Plattformen
Aus der Abwägung der Grundrechtspositionen der beschwerdeführenden Person und TikTok ergibt sich, dass Maßnahmen zur Inhaltsmoderation nicht willkürlich sein dürfen, dass sie verhältnismäßig sein müssen und dass Anbieter von Online-Plattformen verpflichtet sind, Moderationsmaßnahmen kohärent umzusetzen (zu diesen Anforderungen siehe: Wischmeyer/Meißner, Horizontalwirkung der Unionsgrundrechte - Folgen für den Digital Services Act, Neue Juristische Wochenschrift, 2023, S. 2678).
(1) Keine Willkür
Die Moderationsmaßnahme von TikTok ist nicht willkürlich.
Moderationsmaßnahmen sind nicht als willkürlich anzusehen, wenn sie auf einem objektiven Grund beruhen und einem legitimen Ziel dienen.
Vorliegend wurde die relevante Maßnahme auf die TikToks Richtlinie zu Fehlinformationen gestützt. Diese Richtlinie legt ausdrücklich die Gründe dar, die ihr zugrunde liegen.
(2) Verhältnismäßigkeit
Die Moderationsmaßnahme ist verhältnismäßig und verletzt die Grundrechte der beschwerdeführenden Person daher nicht.
Die Rechte und Interessen der beschwerdeführenden Person, der Online-Platform sowie ggf. Dritter sind gegeneinander abzuwägen. Diese Rechte und Interessen sollen zu möglichst optimaler Wirksamkeit gelangen. Bei dieser Abwägung können neben Grundrechtspositionen auch im europäischen Sekundärrecht verankerte Prinzipien berücksichtigt werden (EuGH, Urteil vom 17. April 2018, Egenberger, C-414/16, ECLI:EU:C:2018:257, Rn. 81). Das Verhältnismäßigkeitsprinzip spiegelt sich auch in Art. 14 Abs. 4 DSA wider, wonach Anbieter von Online-Plattformen verhältnismäßig handeln müssen. Dies umfasst auch die Pflicht „die Rechte und berechtigten Interessen aller Beteiligten sowie die Grundrechte der Nutzer“ zu berücksichtigen.
Zu den zu berücksichtigenden Faktoren bei der Abwägung zählen u.a. die Art der von der beschwerdeführenden Person verbreiteten Meinungsäußerung, die Reichweite ihres Beitrags, die Verfügbarkeit weniger restriktiver Moderationsmaßnahmen sowie die Größe und Ausrichtung der Plattform.
Vorliegend hätte der Online-Plattform keine weniger einschränkende jedoch gleich geeignete Maßnahme zur Verfügung gestanden. Die Herabstufung des Inhalts bzw. die Nicht-Anzeige des Videos im Für-Dich-Feed würde die Gefahr der Verbreitung von Fehlinformationen nicht im gleichen Maße eindämmen wie eine Löschung des Videos. Hier ist zu beachten, dass die beschwerdeführende Person in ihrem Kommentar zum Video einige Kontakte getaggt hat und diesen mit Hashtags versehen hat. Eine Verbreitung der Inhalte durch diese Tags kann mit einer Löschung des Videos verhindert werden, nicht aber mit dessen Herabstufung.
Bei einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne spricht zwar für die Meinungsfreiheit der beschwerdeführenden Person, dass dieser mit den Videoausschnitten von Alice Weidel und Herrn Dr. Nehls seinen Erfahrungsbericht zu seinem Gesundheitszustand am Ende des Videos untermauert. Letzterer ist als persönlicher Erfahrungsbericht mit einigen Meinungsäußerungen schützenswert. Auch gibt die beschwerdeführende Person mit dem Video von Frau Weidel den Standpunkt einer derzeit erfolgreichen deutschen Politikerin wieder, deren AfD-Fraktion im künftigen Bundestag die zweitstärkste Kraft bilden wird. Dass Äußerungen von Frau Weidel somit die Meinungsbildung - auch bei der beschwerdeführenden Person - beeinflussen, ist zumindest nachvollziehbar.
Dem stehen auf der anderen Seite jedoch nicht nur die unternehmerische Freiheit der Plattform, sondern auch der Gesundheitsschutz zahlreicher Dritter gegenüber. Diese müssen vor den irreführenden, falschen oder an Unwahrheit grenzenden Aussagen in den Videoausschnitten von Frau Weidel und Herrn Dr. Nehls effektiv geschützt werden. Der Schutz vor Fehlinformationen und ihren Gefahren für Demokratie und Rechtsstaat wird zudem angesichts der aktuellen politischen Weltlage ein immer brisanteres Thema. Ins Gewicht fällt auch, dass das streitgegenständliche Video lang ist und gerade die die Fehlinformationen enthaltenden Videoausschnitte den Anfang bilden. Viele Nutzerinnen und Nutzer werden möglicherweise nur diese und das Video gar nicht zu Ende schauen. Aber auch in der Stellungnahme der beschwerdeführenden Person am Ende des Videos werden die Aussagen von Frau Weidel und Herrn Dr. Nehls nicht inhaltlich aufgegriffen und eingeordnet, sondern pauschal als Beleg für die gesundheitlichen Leiden der beschwerdeführenden Person und von Personen in seinem Umfeld interpretiert.
Insgesamt überwiegen hier die Rechte und Freiheiten der Plattform, mit der Löschung als Moderationsentscheidung gesundheitliche Schäden bei Nutzerinnen und Nutzern zu verhindern.
V. Ergebnis
User Rights kommt zu dem Ergebnis, dass TikToks Entscheidung, den Inhalt von der Plattform zu entfernen, gerechtfertigt war. Der Inhalt verstößt gegen die Richtlinie zu Fehlinformationen. Die Entscheidung wird daher aufrechterhalten.
Hinweis: Die Entscheidungen von außergerichtlichen Streitbeilegungsstellen sind gemäß Artikel 21 Abs. 2 Satz 3 DSA für Plattformen nicht bindend. Im Rahmen ihrer Pflicht zur Zusammenarbeit nach Treu und Glauben gemäß Artikel 21 Abs. 2 Satz 1 des DSA müssen Plattformen jedoch prüfen, ob Gründe gegen die Umsetzung der Entscheidung sprechen und die Streitbeilegungsstellen über die Umsetzung der Entscheidung informieren.