Kontextualisiert "Remigration"

ENTSCHEIDUNG: UR_2025_11
STATTGABE
PLATTFORM
TikTok
NORM
Hassrede und hasserfülltes Verhalten
SPRACHE
Deutsch
DATUM
2025-08-05
MAßNAHME
Sperrung des Kontos

Entscheidung

- Aktenzeichen: ​XXXXXX-


 

In dem außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren zwischen

 


 

XXXXXXXXXXXXX

- die beschwerdeführende Person -

und


 

​TikTok​

- Online-Plattform –

wegen 


 

​der dauerhaften Sperrung eines Accounts​ auf Grundlage von ​TikTok​s ​Richtlinie zu Hassrede oder hasserfülltem Verhalten

 

hat die zertifizierte außergerichtliche Streitbeilegungsstelle User Rights durch ihre Streitschlichter am ​04.03.2025​ entschieden:

 

User Rights kommt zu dem Ergebnis, dass die Entscheidung, das Konto der beschwerdeführenden Person dauerhaft zu sperren, ungerechtfertigt ist. Die in der Richtlinie zur Deaktivierung von Konten geregelten Voraussetzungen für eine dauerhafte Kontensperrung liegen nicht vor. Das Konto hätte auf dieser Grundlage nicht gesperrt werden sollen.

 

I. Zusammenfassung

Die Beschwerde betrifft die dauerhafte Sperrung des TikTok-Kontos der beschwerdeführenden Person, die mehrere Beiträge mit Audiomitschnitten einer Rede des österreichischen Journalisten Philipp Huemer geteilt hatte. Die Rede, die das Konzept der Remigration behandelt, wurde als potenziell hasserfüllte Ideologie eingestuft. TikTok sperrte das Konto unter Berufung auf seine Richtlinien zu Hassrede und hasserfülltem Verhalten. Die beschwerdeführende Person argumentiert, dass der Inhalt keine Hassrede enthalte und in einem dokumentarischen Kontext geteilt wurde, um auf rechtsextreme Ideologien aufmerksam zu machen.

User Rights kommt zu dem Ergebnis, dass die dauerhafte Sperrung des Kontos nicht gerechtfertigt war. Die geteilten Inhalte verstoßen nicht gegen die Richtlinie zu Hassrede oder hasserfülltem Verhalten, da sie im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit rechtsextremen Ideologien veröffentlicht wurden. Der begleitende Kommentar der beschwerdeführenden Person deutet auf eine Distanzierung von den geäußerten Ansichten hin. Daher empfiehlt User Rights die Aufhebung der Kontosperrung durch TikTok.

II. Sachverhalt

Die Beschwerde betrifft die dauerhafte Sperrung des Kontos der beschwerdeführenden Person. Dieser veröffentlichte - unter anderem am XX Oktober 2024 - drei Beiträge auf seinem TikTok-Account mit Namen XXXXXXX. Die Beiträge enthalten drei jeweils identische Audiomitschnitte von einer Rede des österreichischen Journalisten und Chefredakteurs der Zeitung "Heimatkurier" Philipp Huemer, der diese vor einem Publikum der Jungen Alternative, der ehemaligen sich in Auflösung befindlichen Jugendorganisation der Partei Alternative für Deutschland (AfD), hielt. Die Mitschnitte sind jeweils unter fünf Minuten lang und geben damit nur einen Teil der eigentlich 18 Minuten dauernden Rede wieder. Der Mitschnitt mit starrem Hintergrundbild kursiert vielfach im Internet, z.B. auch auf dem YouTube-Kanal der Jungen Alternative NRW (s. https://www.youtube.com/watch?v=S20w4kToI78). Darin erklärt der Redner Philipp Huemer das Konzept der Remigration. Er beschreibt, wie demnach mit den drei Zielgruppen der Remigration, den Geflüchteten, den nicht assimilierten Ausländern mit Aufenthaltstitel und den nicht assimilierten Staatsbürgern, umgegangen werden solle. Das starre Hintergrundbild zeigt ein Foto des Redners, welches in das Schwarz-Weiß-Bild eines Klassenzimmers eingefügt wurde. Mehrfach sind die Logos von regionalgruppen der Jungen Alternative zu sehen. Die beschwerdeführende Person hat den Beitrag weiterverbreitet. Beim Teilen des Inhalts hat diese auf dem Hintergrundbild hinzugefügt, es sei nun ersichtlich was “millionenfach” bedeutet, “remigration” im Sinne einer rechtsextremistischen Vorstellung. 

Am ​XX Oktober 2024​ sperrte ​TikTok das Konto der beschwerdeführenden Person dauerhaft. Am 31. Januar 2025 legte die beschwerdeführende Person die Entscheidung von TikTok bei User Rights zur Überprüfung vor. Er erklärte, dass sein Konto gesperrt und nicht wieder freigegeben worden sei, nachdem mehrere Videos, die auch in öffentlich-rechtlichen Medien sowie Nachrichten und Printmedien frei zugänglich seien, zu Unrecht gemeldet worden seien. Da er verhindert gewesen sei, habe er keine Möglichkeit gehabt, Widerspruch einzulegen und seine Situation zu erläutern. TikTok habe sein Konto wohl auch nicht prüfen können, da es auf privat gesetzt gewesen sei. Am 11. Februar 2025 informierte User Rights TikTok über die Beschwerde bei User Rights und gab die Möglichkeit zur Stellungnahme.

User Rights forderte TikTok auf, zusätzliche Informationen zur Rechtfertigung der getroffenen Moderationsentscheidung bereitzustellen. Die Plattform erklärt, dass sie keine Hassrede, hasserfülltes Verhalten oder die Förderung hasserfüllter Ideologien zulasse. Dies schließe explizite oder implizite Inhalte ein, die eine geschützte Gruppe angreifen. Hasserfüllte Ideologien seien Glaubenssysteme, die Individuen aufgrund ihrer geschützten Merkmale ausschließen, unterdrücken oder anderweitig diskriminieren. 

Am 27. Februar 2025 bot User Rights der beschwerdeführenden Person an, mit einer Frist bis zum 6. März 2025 auf die Stellungnahme der Plattform zu antworten. Am 28. Februar 2025 antwortete die beschwerdeführende Person auf die Stellungnahme der Plattform. Er gab an, dass TikTok wiederholt das Hochladen der drei identischen Videos erlaubt habe, die Audiomitschnitte aus einem öffentlichen Vortrag von Philipp Huemer enthielten, welche in mehreren Monaten Abstand gepostet worden seien. Diese Videos, zusammen mit zusätzlichen Kopien sowohl auf dem Konto des Beschwerdeführers als auch auf anderen Konten, wie zum Beispiel dem TikTok-Konto XXXXXXXXXXX, seien zum Ansehen und Anhören verfügbar. Der Vortrag, der in seiner Originalform 18 Minuten dauert, sei vor einem politisch interessierten Publikum vor einem Jahr gehalten worden, und die beschwerdeführende Person habe einen Ausschnitt davon hochgeladen. Die beschwerdeführende Person behauptet, dass der Inhalt keine Hassrede oder Beleidigungen enthalte und öffentlich durch verschiedene Medien, einschließlich mehrerer Instanzen auf YouTube, kommuniziert worden sei. Die beschwerdeführende Person stellte Links zu den TikTok-Videos bereit und merkte an, dass der identische Beitrag mehrfach ohne Einwände von TikTok hochgeladen worden sei. Er betont, dass der Inhalt lediglich eine Aufzeichnung einer öffentlichen Veranstaltung sei, frei von beleidigender Sprache oder Hassrede, und in den öffentlichen Medien entsprechend behandelt worden sei. Die beschwerdeführende Person hebt hervor, dass sie bisher keine Probleme mit diesen Uploads hatte, was ihre Haltung verstärke, dass der Inhalt angemessen und unkontrovers ist.

III. Zulässigkeit

Die Beschwerde ist zulässig. 

User Rights ist zertifiziert, um Streitigkeiten zwischen Anbietern von Online-Plattformen und Nutzern in Bezug auf die Moderation von Inhalten, die auf einer Social-Media-Plattform auf Deutsch oder Englisch veröffentlicht wurden, zu entscheiden. TikTok ist eine Social-Media-Plattform. Der relevante Inhalt ist in Deutsch verfasst, also in einer Sprache, für die User Rights zertifiziert ist. ​TikTok​ hat das Konto dauerhaft gesperrt. Die dauerhafte Sperrung von Benutzerkonten stellt eine Maßnahme dar, die gemäß Art. 20 Abs. 1 a) und Art. 21 Abs. 1 DSA bei der außergerichtlichen Streitbeilegungsstelle User Rights überprüft werden kann. 

IV. Begründetheit

Die Beschwerde ist begründet.

User Rights kommt zu dem Ergebnis, dass die Entscheidung, das Konto der beschwerdeführenden Person dauerhaft zu sperren, nicht gerechtfertigt war. Die Voraussetzungen für eine dauerhafte Kontosperrung liegen nicht vor. Das Konto hätte auf dieser Grundlage nicht gesperrt werden sollen.

1. Prüfungsumfang

In ihrer Stellungnahme gegenüber User Rights erklärte die Online-Plattform, dass die Maßnahme aufgrund ihrer ​Richtlinie zu Hassrede oder hasserfülltem Verhalten erfolgt sei.

User Rights beschränkt die Prüfung auf die von der Plattform in ihrer Stellungnahme angeführte Regelung. Die Vereinbarkeit mit möglichen anderen Vorschriften wird nicht überprüft. Der Grund dafür ist, dass die Online-Plattform  gemäß Art. 17 DSA eine Maßnahme unter Angabe einer spezifischen Regelung in ihren Richtlinien begründen muss  (Art. 17 Abs. 3 e) DSA). Der Beschwerdegegenstand bestimmt sich damit maßgeblich danach, auf welche Regelung die Plattform ihre Maßnahme stützt. 

Sollte TikTok im Anschluss dieses Verfahrens feststellen, dass eine andere Richtlinie verletzt wurde, muss eine weitere Moderationsentscheidung getroffen und dem Nutzer eine neue Begründung übermittelt werden, die einen Hinweis auf diese Richtlinie enthält. Der Nutzer hat dann das Recht, diese Entscheidung gemäß Art. 20 oder Art. 21 DSA anzufechten.

2. Inhaltliche Prüfung

User Rights stützt seine Entscheidung auf die aktuelle Fassung der Richtlinien der Online-Plattform. 

Die beschwerdeführende Person hat nicht gegen die Richtlinie zu Hassrede oder hasserfülltem Verhalten verstoßen. Damit liegt erst Recht kein einzelner schwerwiegender Verstoß oder wiederholte Richtlinienverstöße, die TikTok für eine dauerhafte Kontosperrung voraussetzt, vor. 

Die Richtlinie verbietet das Fördern hasserfüllter Ideologien, darunter explizite und implizite Inhalte, die eine geschützte Gruppe angreifen. Hasserfüllte Ideologien werden als Glaubenssysteme, die Personen aufgrund ihrer geschützten Eigenschaften ausschließen, unterdrücken oder anderweitig diskriminieren, definiert. Geschützte Eigenschaften wiederum sind laut Richtlinie persönliche Merkmale, die entweder angeboren bzw. unveränderlich sind oder bei denen es schwere psychische Schäden verursachen würden, wenn Personen gezwungen wären, diese Eigenschaften zu ändern oder aufgrund dieser Eigenschaften angegriffen würden. Als Beispiele werden die nationale Herkunft, die ethnische Zugehörigkeit oder der Einwanderungsstatus benannt. 

Es lässt sich durchaus vertreten, dass Philipp Huemer in seiner Rede eine hasserfüllte Ideologie veranschaulicht und vertritt. Mit dem Konzept der Remigration begründet er - wenn auch vielfach implizit - den Ausschluss und die Diskriminierung Geflüchteter bzw. “nicht assimilierter Personen mit dauerhafter Aufenthaltserlaubnis” aufgrund ihres Einwanderungsstatus. Zudem spricht er sich auch für den Ausschluss und die Ausweisung “nicht assimilierter Staatsbürger” mit Migrationshintergrund aus. Der von Huemer herausgegebene Heimatkurier gilt laut Medienberichten als rechtsextremes Portal. Demnach ist Huemer außerdem ein führender Kader der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich (Lenze, Dominik, in Tagesspiegel-Bezirke, Rechtsextreme Kampagne gegen Berliner Register, veröffentlicht am 17.10.2023, abgerufen am 4. März 2025 unter https://leute.tagesspiegel.de/marzahn-hellersdorf/macher/2023/10/17/297220/rechtsextreme-kampagne-gegen-berliner-register). 

Allerdings ist vorliegend der Kontext der Beitragsveröffentlichungen durch die beschwerdeführende Person zu beachten. Die Richtlinie zu Hassrede und hasserfülltem Verhalten erlaubt ausdrücklich lehrreiche und dokumentarische Inhalte, die ein Bewusstsein für den Schaden schaffen, der durch Hassrede verursacht wird. Außerdem erlaubt sie Gegenrede zu hasserfüllten Ideologien. Der auf dem Beitrag angebrachte Text der beschwerdeführenden Person “Remigration nach Rechtsextremer Vorstellung” deutet bereits darauf hin, dass diese sich von den Aussagen von Herrn Huemer distanziert. Ein Anhänger der Ideologie würde diese wohl kaum selbst öffentlich als rechtsextrem bezeichnen. Auch wenn man den Nachfolge-Account der beschwerdeführenden Person XXXXXXXXXXX in die Beurteilung mit einbezieht, wird deutlich, dass die beschwerdeführende Person mit ihren Beiträgen eine kritische Auseinandersetzung mit rechten Ideologien fördern und für deren Gefahren sensibilisieren möchte. Daneben spricht für die Rechtsposition der beschwerdeführenden Person, dass das Video vielfach im Internet auf Social Media kursiert und Gegenstand von Diskussionen ist. Ein Verstoß gegen die Richtlinie zu Hassrede und hasserfülltem Verhalten ist mithin zu verneinen. Damit liegen erst Recht kein schwerwiegender Verstoß bzw. wiederholte Verstöße vor, die eine dauerhafte Kontosperrung nach der TikTok-Richtlinie zu Kontoverwarnungen und -sperren rechtfertigen würden. 

V. Ergebnis

User Rights kommt zu dem Ergebnis, dass die Entscheidung, das Konto der beschwerdeführenden Person dauerhaft zu sperren, ungerechtfertigt ist. Die in der Richtlinie zur Deaktivierung von Konten geregelten Voraussetzungen für eine dauerhafte Kontensperrung liegen nicht vor. Das Konto hätte auf dieser Grundlage nicht gesperrt werden sollen.

 

Hinweis: Die Entscheidungen von außergerichtlichen Streitbeilegungsstellen sind gemäß Artikel 21 Abs. 2 Satz 3 DSA für Plattformen nicht bindend. Im Rahmen ihrer Pflicht zur Zusammenarbeit nach Treu und Glauben gemäß Artikel 21 Abs. 2 Satz 1 des DSA müssen Plattformen jedoch prüfen, ob Gründe gegen die Umsetzung der Entscheidung sprechen und die Streitbeilegungsstellen über die Umsetzung der Entscheidung informieren.

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