Skinheads und Schubladendenken

DECISION: UR_2024_12
OVERTURNED
PLATFORM
TikTok
NORM
Hate Speech and Hateful Behaviour
LANGUAGE
German
DATE
December 2024
MEASURE
Deletion of Content 


Entscheidung

- Aktenzeichen: XXXXX -


 

In dem außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren zwischen

 


 

XXXXX

- die beschwerdeführende Person -

und


 

​TikTok​

- Online-Plattform –

wegen 

 

​der Löschung von Inhalten​ auf Grundlage von ​TikTok​s ​Richtlinie zu Hassrede und hasserfülltem Verhalten​

 

hat die zertifizierte außergerichtliche Streitbeilegungsstelle User Rights durch ihre Streitschlichter am ​02.12.2024​ entschieden:

User Rights kommt zu dem Ergebnis, dass ​TikTok​s Entscheidung, den Inhalt von der Plattform zu entfernen, ungerechtfertigt war. Der Inhalt verstößt nicht gegen die ​Richtlinie zu Hassrede und hasserfülltem Verhalten​ und hätte auf dieser Grundlage nicht entfernt werden sollen. ​TikTok​ sollte den Inhalt daher wiederherstellen.

I. Zusammenfassung

Gegenstand der Beschwerde ist folgender Beitrag der beschwerdeführenden Person zu persönlichen Erfahrungen bei der Loveparade in den 90er Jahren: Es kamen Busse aus Städten in Deutschland und Skinheads hätten kein Problem damit, mit einem "Homo" zu tanzen. Er hasse das Einteilen in Schubladen von heute.  TikTok entfernte diesen Beitrag am XX Oktober 2024 von der Plattform, woraufhin die beschwerdeführende Person eine Beschwerde bei User Rights einreichte. 

User Rights kommt zu dem Ergebnis, dass ​TikTok​s Entscheidung, den Inhalt von der Plattform zu entfernen, ungerechtfertigt war. Der Inhalt verstößt nicht gegen die ​Richtlinie zu Hassrede und hasserfülltem Verhalten​. Er enthält insbesondere keine hasserfüllte Beleidigung im Sinne der Richtlinie und hätte daher nicht entfernt werden sollen. ​TikTok​ sollte den Inhalt daher wiederherstellen.

II. Sachverhalt

Die Beschwerde betrifft Inhalte, die die beschwerdeführende Person am XX Oktober 2024​ veröffentlichte. Gegenstand der Beschwerde ist folgender Beitrag der beschwerdeführenden Person: Es kamen Busse aus Städten in Deutschland und Skinheads hätten kein Problem damit, mit einem “Homo” zu tanzen. Er hasse das Einteilen in Schubladen von heute. 

Am XX Oktober 2024​ entfernte ​TikTok​ den Inhalt von der Plattform. Am selben Tag legte die beschwerdeführende Person die Entscheidung von TikTok bei User Rights zur Überprüfung vor. Bei der Einreichung der Beschwerde an User Rights wurde die beschwerdeführende Person gebeten, relevanten Kontext zum ​Inhalt​ in diesem Fall zu liefern. Die beschwerdeführende Person erklärte, sie reflektiere in dem Beitrag über persönliche Erfahrungen während der Loveparade in den 90er Jahren. Sie habe bemerkt, dass damals Busse in Berlin angekommen seien. Sog. Skinheads, die sich in den Bussen befanden, hätten überraschenderweise kein Problem damit gehabt, mit homosexuellen Personen zu tanzen und zu feiern. Dies sei zu Beginn der 90er Jahre noch anders gewesen. In dieser Zeit habe die beschwerdeführende Person noch miterlebt, wie sog. Skinheads LGBTQI+-Personen in verschiedenen Berliner Stadtteilen verfolgt hätten. Die beschwerdeführende Person drückt eine persönliche Abneigung gegen Kategorisierung und Etikettierung aus und betont, dass diese Aussage niemanden herabwürdige. 

Am 23. Oktober 2024 informierte User Rights TikTok über die Beschwerde bei User Rights und gab die Möglichkeit zur Stellungnahme. User Rights forderte TikTok auf, zusätzliche Informationen zur Rechtfertigung der getroffenen Moderationsentscheidung bereitzustellen. Die Online-Plattform ist der Ansicht, der Inhalt verstoße gegen ihre Richtlinie zu Hassrede und hasserfülltem Verhalten.  Danach sind Inhalte unzulässig, die Hassrede oder hasserfülltes Verhalten enthalten bzw. hasserfüllte Ideologien fördern. Insbesondere verbietet die Richtlinie die Verwendung einer hasserfüllten Beleidigung, die mit einer geschützten Eigenschaft in Verbindung steht. 

Am 20. November 2024 bot User Rights der beschwerdeführenden Person an, mit einer Frist bis zum 27. November 2024 auf die Stellungnahme der Plattform zu antworten. Die beschwerdeführende Person reagierte nicht, bevor die Frist abgelaufen war.

III. Zulässigkeit

Die Beschwerde ist zulässig. User Rights ist zertifiziert, um Streitigkeiten zwischen Anbietern von Online-Plattformen und Nutzern in Bezug auf die Moderation von Inhalten, die auf einer Social-Media-Plattform auf Deutsch oder Englisch veröffentlicht wurden, zu entscheiden. TikTok ist eine solche Social-Media-Plattform. Der relevante Inhalt ist in Deutsch verfasst, also in einer Sprache, für die User Rights zertifiziert ist. ​TikTok​ hat Inhalte entfernt, die die beschwerdeführende Person auf ​TikTok​ geteilt hatte. Die Entfernung von Inhalten stellt eine Maßnahme dar, die gemäß Art. 20 Abs. 1 a) und Art. 21 Abs. 1 DSA bei User Rights angefochten werden kann. 

IV. Begründetheit

Die Beschwerde ist begründet.

User Rights kommt zu dem Ergebnis, die Entscheidung von ​TikTok​, den Inhalt von der Plattform zu entfernen, ungerechtfertigt ist. Der Inhalt verstößt nicht gegen die Richtlinie zu Hassrede und hasserfülltem Verhalten und hätte auf dieser Grundlage nicht entfernt werden sollen. ​TikTok​ sollte den Inhalt daher wiederherstellen.

1. Rechtsgrundlage

Im Beschwerdeverfahren erklärte die Plattform, dass die Maßnahme aufgrund ihrer ​Richtlinie zu Hassrede oder hasserfülltem Verhalten​ erfolgt sei.

User Rights beschränkt die Prüfung auf die von der Plattform in dem Beschwerdeverfahren angeführte Regelung. Die Vereinbarkeit mit möglichen anderen Vorschriften wird nicht überprüft. Der Grund dafür ist, dass ​TikTok​ gemäß Art. 17 DSA eine Begründung geben muss, die die spezifische Regelung der Nutzungsbedingungen nennt (Art. 17 Abs. 3 e) DSA). Der Nutzer hat dann gem. Art. 21 DSA das Recht, von Streitbeilegungsstellen überprüfen zu lassen, ob die angeführte Richtlinie tatsächlich Anwendung findet. Würde User Rights weitere Richtlinien prüfen, würde dies der Funktion von Streitschlichtungsstellen nach Art. 21 DSA zuwiderlaufen, die darauf abzielt, die Rechtmäßigkeit der von Plattformen getroffenen Entscheidungen auf Grundlage der von der Plattform angeführte Regelung zu überprüfen. 

Sollte ​TikTok​ im Anschluss dieses Verfahrens feststellen, dass eine andere Richtlinie verletzt wurde, muss eine weitere Moderationsentscheidung getroffen und dem Nutzer eine neue Begründung übermittelt werden, die einen Hinweis auf diese Richtlinie enthält. Der Nutzer hat dann das Recht, diese Entscheidung gemäß Art. 20 oder Art. 21 DSA anzufechten.

2. Inhaltliche Prüfung

User Rights stützt seine Entscheidung auf die aktuell geltende Fassung der Nutzungsbedingungen des Beschwerdegegners.

Der Beitrag der beschwerdeführenden Person verstößt nicht gegen die Richtlinie von TikTok zu Hassrede oder hasserfülltem Verhalten. Die Richtlinie verbietet Inhalte, die Hassrede oder hasserfülltes Verhalten enthalten oder hasserfüllte Ideologien fördern, insbesondere die Verwendung hasserfüllter Beleidigungen, die mit einer geschützten Eigenschaft in Verbindung stehen. 

Unter Zugrundelegung des Grundrechts der Meinungsfreiheit ist im Zweifel von dem Äußerungsgehalt auszugehen, der sich für die beschwerdeführende Person günstiger darstellt. Der beschwerdeführende Person kann sich gegenüber der Online-Plattform auf ihr Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 11 der Europäischen Grundrechtecharta (GrCh) berufen. Dies folgt nicht aus dem Digital Services Act, sondern aus der GrCh. An mehreren Stellen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) bekräftigt, dass zumindest einige der in der GrCh verankerten Grundrechte auch auf private Streitigkeiten und damit auch auf Streitigkeiten zwischen Nutzerinnen und Nutzern und Anbietern von Online-Plattformen anwendbar sind (vgl. EuGH, Urteil vom 17. April 2018, Egenberger, C 414-16, ECLI: EU:C:2018:257). Bisher hatte der EuGH zwar noch nicht die Gelegenheit zu entscheiden, ob auch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit in Art. 11 GrCh auf Streitigkeiten zwischen Nutzern und Anbietern von Online-Plattformen anwendbar sind. Dennoch spricht insbesondere die folgende Überlegung für diese Annahme: Online-Plattformen sind von zentraler Bedeutung für die Ausübung von Grundrechten, insbesondere für das Grundrecht auf Meinungsfreiheit: Ein großer Teil der Online-Kommunikation findet auf Online-Plattformen statt. Müssten Anbieter von Online-Plattformen keine Rücksicht auf die Meinungsfreiheit (Art. 11 GRCh) der Nutzer nehmen, würde die praktische Wirksamkeit der Bestimmung erheblich beeinträchtigt. Art. 14 des Gesetzes über Digitale Dienste (DSA) bestätigt dies und stellt fest, dass Online-Plattformen bei der Anwendung von Moderationsmaßnahmen die Grundrechte von Nutzerinnen und Nutzern achten müssen.

Der Inhalt der beschwerdeführenden Person ist auch durch Art. 11 GRCh geschützt. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit schützt alle Formen der Meinungsäußerung, d.h. subjektive Werturteile, die durch Elemente der subjektiven Stellungnahme geprägt sind und im Unterschied zu Tatsachen keinem Beweis zugänglich sind. Geschützt sind auch Tatsachenbehauptungen, soweit sie der Meinungsäußerung dienen. Der Beitrag der beschwerdeführenden Person enthält eine Positionierung gegen sog. “Schubladendenken”. Die Schilderung des Umgangs von sog. Skinheads und homosexuellen Personen enthält nachweisbare Aussagen, die der Untermauerung der Positionierung der beschwerdeführenden Person dienen. Die Meinungsfreiheit gebietet es auch, mehrdeutige Äußerungen “meinungsfreundlich” auszulegen. Das bedeutet, dass unter mehreren möglichen Deutungen einer Äußerung diejenige zu wählen, die für die beschwerdeführende Person am günstigsten ist.

Nach diesen Maßstäben liegt kein Verstoß gegen die Richtlinie vor. Es kann dahinstehen, ob die Verwendung der Bezeichnung “Homo" je nach Kontext eine hasserfüllte Beleidigung im Sinne der Richtlinie darstellen kann. Jedenfalls in dem vorliegenden Bedeutungszusammenhang kann die Verwendung des Begriffs "Homo" bei der gebotenen meinungsfreundlichen Auslegung nicht als hasserfüllte Beleidigung aufgefasst werden. Vorliegend reflektiert die beschwerdeführende Person über ihre Erfahrungen während der Loveparade in den 90er Jahren und beschreibt eine positive Veränderung im Verhalten von sog. Skinheads gegenüber homosexuellen Personen. Hierin liegt keine Beleidigung von homosexuellen Personen. Die Richtlinie von TikTok erlaubt vielmehr ausdrücklich Diskussionen über gesellschaftliche Probleme, die geschützte Gruppen betreffen, solange dabei Menschen nicht aufgrund ihrer geschützten Eigenschaft angegriffen werden. So verhält es sich mit dem Beitrag der beschwerdeführenden Person. Dieser deutet auf positive gesellschaftliche Veränderungen im Hinblick auf den Umgang von sog. Skinheads mit homosexuellen Personen hin. Gleichzeitig bringt der Beitrag eine persönliche Abneigung der beschwerdeführenden Person gegen sog. "Schubladendenken" zum Ausdruck.

V. Ergebnis

User Rights kommt zu dem Ergebnis, dass ​TikTok​s Entscheidung, den Inhalt von der Plattform zu entfernen, ungerechtfertigt war. Der Inhalt verstößt nicht gegen die ​Richtlinie zu Hassrede und hasserfülltem Verhalten​ und hätte auf dieser Grundlage nicht entfernt werden sollen. ​TikTok​ sollte den Inhalt daher wiederherstellen.

Hinweis: Die Entscheidungen von außergerichtlichen Streitbeilegungsstellen sind gemäß Artikel 21 Abs. 2 Satz 3 DSA für Plattformen nicht bindend. Im Rahmen ihrer Pflicht zur Zusammenarbeit nach Treu und Glauben gemäß Artikel 21 Abs. 2 Satz 1 des DSA müssen Plattformen jedoch prüfen, ob Gründe gegen die Umsetzung der Entscheidung sprechen und die Streitbeilegungsstellen über die Umsetzung der Entscheidung informieren.



 

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